Islamistischer Terrorismus in Europa
Entwicklungen und aktuelle Gefahren in Deutschland, Belgien und Österreich
Zwar ist den USA mit der Tötung des IS-Anführers Anfang Februar 2022 ein weiterer Schlag gegen die Terrororganisation gelungen, die 2019 das letzte Territorium unter ihrer Kontrolle verlor. Doch zeigt der schwere Angriff auf das Gefängnis in Hasaka im Nordosten Syriens Ende Januar, dass die Gruppe gefährlich bleibt. Auch wirft er ein Schlaglicht darauf, dass sich eine große Zahl ausländischer IS-Mitglieder in der Region befindet, darunter auch hunderte EU-Staatsbürgerinnen und -bürger, deren mögliche Rückkehr eine sicherheitspolitische Herausforderung für die EU darstellt. Die Attentate in Österreich, Frankreich und Deutschland im Herbst 2020 haben vor allem eins gezeigt: Radikalisierte Einzeltäter sind weiterhin eine Bedrohung.
Um das aktuelle Vorgehen islamistischer Terroristen, die Bedrohungslage für Europa und die Strategie der Sicherheitsbehörden genauer zu analysieren, startete die Konrad-Adenauer-Stiftung im März 2021 die Reihe „Islamistischer Terrorismus in Europa“. Erschienen sind bislang Studien zur Gegenwart und Geschichte des Dschihadismus in Deutschland, Belgien und Österreich.
Eine Bedrohung von innen und außen
Extremisten als wachsende Gefahr für US-amerikanische Sicherheitsbehörden
Spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ist klar, dass bewaffnete Extremisten eine reale Gefahr für die Demokratie in den Vereinigten Staaten darstellen. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung in Washington im vergangenen Juni erstmals eine nationale Strategie im Kampf gegen inländischen Terrorismus vorgelegt. Eine Analyse der terroristischen Anschläge in den USA von 1994 bis Anfang 2021 vom Center for Strategic & International Studies zeigt die besorgniserregende Entwicklung.
Extremisten auf einen Blick
Kurzportäts extremistischer Gruppen in den USA und weltweit
Islamistischer Extremismus
Die ADF ist eine Rebellengruppe mit ugandischen Wurzeln, die heute im Osten der Demokratischen Republik Kongo aktiv ist. Die Ideologie der ADF enthält seit langem salafistisch-dschihadistische Elemente, jedoch rekrutiert sie auch nach säkularen ethnischen Gesichtspunkten. Im Jahr 2019 bekannte sich der Islamische Staat zu einem Anschlag der ADF, aber das Ausmaß seiner Verbindung zur Gruppe bleibt unklar.
JNIM, die „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“, ist ein Zusammenschluss salafistisch-dschihadistischer Rebellengruppen, der in der Sahelzone südlich der Sahara aktiv ist. Die 2017 gegründete JNIM hat ihr Operationsgebiet auf ganz Westafrika ausgedehnt und führt eine Kampagne der Gewalt gegen Zivilisten, lokale Sicherheitskräfte, internationale Streitkräfte und UN-Friedenstruppen.
Der ostafrikanische al-Qaida-Ableger, meist nur al-Shabaab genannt, ist seit fast zwei Jahrzehnten die einflussreichste Rebellengruppe in Somalia. Sie kontrollierte zeitweise große Teile des Landes und hat sich als wichtiger Akteur des globalen Dschihadismus etabliert.
Der ISGS ist eine unabhängige Untergruppe des Islamischen Staates Provinz Westafrika (ISWAP), die in der Region Liptako-Gourma in der Sahelzone aktiv ist, zu der Teile von Burkina Faso, Mali und Niger gehören. Im Bestreben, ein salafistisch-dschihadistisches Kalifat zu errichten, schürt er Spannungen in der Bevölkerung und steht in gewaltsamem Konflikt mit konkurrierenden dschihadistischen Gruppen.
Der ISKP ist ein in Zentral- und Südasien operierender Ableger des Islamischen Staates, der 2014 durch die Abspaltung von Tehrik-i-Taliban, al-Qaida- und Taliban-Kämpfern in Afghanistan und Pakistan entstand. Er war für den Anschlag auf den Flughafen von Kabul im Jahr 2021 verantwortlich, bei dem mindestens 183 Menschen getötet wurden.
Lashkar-e-Taiba, die sogenannte „Armee der Reinen“, ist eine sunnitische Rebellengruppe in Pakistan, deren Hauptziel es ist, Jammu und Kaschmir von indischer Kontrolle zu befreien. Weltweite Bekanntheit erlangte sie im November 2008 nach einer Reihe von Anschlägen in Mumbai, bei denen 116 Menschen getötet und mehr als 300 verwundet wurden.
Rechtsextremismus
In den Vereinigten Staaten und Teilen Kanadas tauchten im Sommer 2019 in Großstädten und an Universitäten Flugblätter mit der Aufschrift „Save your race, join The Base“ auf. Die Propagandabotschaft wirbt für The Base, eine gewaltbereite, rechtsextreme Gruppe, die einen „Rassenkrieg“ und die Schaffung eines „weißen Ethnostaats“ anstrebt.
Ein dezentrales ideologisches Netzwerk, das an einen bevorstehenden zweiten US-Bürgerkrieg – „Boogaloo“ genannt – glaubt und eine Rhetorik pflegt, die sich gegen Regierung und Sicherheitskräfte richtet. Während einige Anhänger rassistisches Gedankengut vertreten, sind andere gemeinsam mit anti-rassistischen Demonstranten marschiert, was eine politische Einordnung der Bewegung schwierig macht.
US-Milizgruppen standen zuletzt im Blick der Öffentlichkeit durch ihre Beteiligung am Sturm auf das Kapitol im Jahr 2021 und bei Konflikten während der antirassistischen Proteste von 2020. Die moderne Milizbewegung existiert bereits seit drei Jahrzehnten und die Inspiration für die Überzeugungen und Methoden dieser bewaffneten Gruppen geht mindestens auf die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück.
Eine staatsfeindliche, rechtsextreme politische Organisation, die sich der Verteidigung ihrer Auslegung der US-Verfassung gegen alle Feinde im In- und Ausland verschrieben hat. Sie steht in Verbindung mit der Milizbewegung, einer extremistischen Dachorganisation, die davon überzeugt ist, dass die US-Bundesregierung Teil einer Verschwörung ist, die die Amerikaner ihrer natürlichen Rechte und Freiheiten berauben will.
QAnon ist eine Verschwörungstheorie, die 2017 in bestimmten Online-Subkulturen auftauchte. Seitdem hat sie Millionen von Anhängern gewonnen. Ein kleiner Teil der Anhänger hat von QAnon inspirierte Gewalttaten verübt, was das FBI veranlasste, sie 2019 als inländische terroristische Bedrohung einzustufen.
Linksextremismus
Antifa ist eine Abkürzung des Begriffs “antifaschistisch” und bezeichnet ein dezentrales Netzwerk von Personen, die sich gegen Faschismus, Rassismus und damit verbundene Ideologien einsetzen. Antifa-Extremisten sind von verschiedenen linken Ideen wie Kommunismus und Anarchismus inspiriert und setzen in den USA Gewalt vor allem im Kontext ideologischer Zusammenstöße auf Demonstrationen ein.
US-amerikanische Anarchisten streben eine alternative Gesellschaftsstruktur an, die mit der Existenz der US-Regierung unvereinbar ist. Institutionen und Personen, die die Autorität des Staates repräsentieren, sind Ziele militanter Anarchisten. 2020 waren Angriffe vor allem auf Demonstrationen zu verzeichnen, wo sie die Verhaftung von Demonstranten verhindern und Sicherheitskräfte behindern sollten.
Öko-Extremismus
Als Vertreter einer Form des Ökoterrorismus bekämpfen Tierrechtsextremisten die tatsächliche oder vermeintliche Misshandlung und Ausbeutung von Tieren mittels Sabotage und Gewalt. Ihre Anschläge richten sich in der Regel gegen Unternehmen sowie Regierungs- und Bildungseinrichtungen, nicht gegen Personen, und sind in den USA seit dem Höhepunkt Ende der 90er Jahre deutlich zurückgegangen.
Radikal vernetzt
Wie Facebook bei der Bekämpfung von Covid-Desinformation versagt
Schon seit längerem steht Facebook in der Kritik nicht genug gegen Desinformation auf der Plattform zu tun, zuletzt nach den Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen im Herbst 2021. Während der Pandemie wurden Falschinformationen über das Virus und die Impfstoffe gezielt über die sozialen Netzwerke verbreitet. Das Institut für strategischen Dialog hat anhand einer Fallstudie untersucht, wie Facebook gegen Desinformation bezüglich Covid-19 vorgeht.
Wie sich Extremisten in der Gaming-Szene vernetzen
Videospiele sind schon lange kein Nischenhobby mehr. Inzwischen sind sie der bei weitem lukrativste Zweig der Unterhaltungsindustrie, mit mehr als doppelt so hohen Einnahmen wie Musik und Film zusammen. Mehr denn je ist der soziale Austausch in Online-Räumen in den Teil unseres Alltags geworden – ein Bereich, bei dem die Gaming-Szene eine Vorreiterrolle einnimmt. Bekanntermaßen nutzen Extremisten das Internet und insbesondere soziale Netzwerke, um neue Mitglieder zu gewinnen und zu radikalisieren, doch bislang gibt es wenig Forschung zur Rolle, die Online-Videospiele dabei spielen. Das Institut für strategischen Dialog hat sich vorgenommen, diese Lücke zu füllen.
Am Tisch mit Islamisten
Ein Weg aus dem Konflikt in Mali?
Auch nach zehn Jahren ist ein Ende des Konflikts in Mali nicht in Sicht. Die andauernde Präsenz ausländischer Truppen und die Unterstützung der malischen Streitkräfte hat bislang nicht zum militärischen Sieg über die Dschihadisten geführt, die weiterhin Teile des Landes kontrollieren. Zudem kommt es zunehmend zu Spannungen zwischen der Militärjunta und internationalen Partnern, seitdem die für Anfang 2022 angesetzten Wahlen abgesagt wurden – die ersten seit dem Putsch im August 2020. Im Februar 2022 verkündete Frankreich nun das Ende seiner Militäroperationen, was auch die Zukunft der deutschen Beteiligung an den Einsätzen der EU und Vereinten Nationen infrage stellt. Angesichts der festgefahrenen Situation des Konflikts, der immer mehr zivile Todesopfer fordert, fragt die International Crisis Group: Ist es an der Zeit, das Gespräch mit den Islamisten zu suchen?
Gespaltene Gesellschaft
Politische Polarisierung in Georgien und Deutschland
Demokratische Gesellschaften brauchen den freien und engagierten Austausch verschiedener Meinungen. Gegensätzliche politische Überzeugungen stellen also kein Problem für Demokratien dar, sondern sind vielmehr ihre Voraussetzung. Wenn sich jedoch Konflikte verhärten und politische Extreme unversöhnlich einander gegenüberstehen, droht politische Polarisierung der Demokratie die Luft zu nehmen. Zwei Studien werfen einen Blick auf die Situation in zwei Länder am Rand und im Zentrum Europas – Georgien und Deutschland.
Georgien – Geisel der Polarisierung
Im Juli 2021 kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen rechtsextremer Demonstranten in Georgiens Hauptstadt Tbilisi, die die erste Gay-Pride-Parade des Landes verhindern wollten. Nach dem Tod eines Journalisten protestierten Tausende und forderten den Rücktritt des Premierministers, der sich im Vorfeld gegen die Parade ausgesprochen hatte. Die gesellschaftlichen Spannungen in der Kaukasusrepublik – einerseits von traditionellen Wertvorstellungen geprägt und andererseits nach Westen strebend – werden von einer Politik der Polarisierung instrumentalisiert und verstärkt. Ein Arbeitspapier von Carnegie Europe erklärt die aktuelle Situation, ihre Hintergründe sowie die Gefahren und Chancen für die georgische Demokratie.
Politische Polarisierung in Deutschland
Die Pandemie hat gesellschaftliche Bruchlinien wie unter ein Brennglas gelegt, heißt es oft. Doch wie steht es wirklich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland? In welchem Maße und in welcher Weise ist die deutsche Gesellschaft politisch polarisiert? Basierend auf repräsentativen Umfragen beleuchtet eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung die Situation in der Bundesrepublik vor und nach der Pandemie.
20 Jahre Guantánamo
Digitaler Extremismus
Über Gefahren im Netz für die brasilianische Demokratie
Mit mehr als 200 Millionen Einwohnern ist Brasilien die mit Abstand größte Demokratie Südamerikas. Wie die Wahl Jair Bolsonaros 2018 gezeigt hat, ist der öffentliche Diskurs des Landes von einer starken Polarisierung geprägt. Und auch in Brasilien sind Teile des Internets eine Echokammer für Extremismus und Desinformation. Das Projekt „Digitale Demokratie. Digitalisierung und Öffentlichkeit in Brasilien“, eine Kooperation der Fundaçaõ Getulio Vargas und der deutschen Botschaft in Brasília, hat sich zum Ziel gesetzt, Strategien zum Verständnis und zur Bekämpfung neuer Herausforderungen der brasilianischen Demokratie, geprägt von digitalem Extremismus und dessen gesellschaftlichen Folgen, zu entwickeln.
An dieser Ausgabe mitgearbeitet haben:
Team KALUZA + SCHMID Studio, Bogdan Miftakhov, Johannes Sudau, Kristin Wesemann, Janine Zimmermann
Quellenangaben
(1) Steinberg, Guido. Islamistischer Terrorismus in Europa. Dschihadismus in Deutschland. Konrad-Adenauer-Stiftung, Dezember 2021
Van Ostaeyen, Pieter und Guy Van Vlierden, Islamistischer Terrorismus in Europa. Dschihadismus in Belgien, August 2021
Steinberg, Guido. Islamistischer Terrorismus in Europa. Dschihadismus in Österreich. Konrad-Adenauer-Stiftung, März 2021
(2)
Jones, Seth G., Catrina Doxsee, Grace Hwang und Jared Thompson. The Military, Police, and the Rise of Terrorism in the United States. Center for Strategic & International Studies, 12. April 2021
Dreisbach, Tom, Meg Anderson und Barbara Van Woerkom. “5 takeaways from the Capitol riot criminal cases, one year later.“ NPR, 5. Januar 2022
(3) Center for Strategic & International Studies. Examining Extremism.
(4)
Gallagher, Aoife, Mackenzie Hart und Ciarán O’Connor. Schlechter Rat: Eine Fallstudie über das Versagen von Facebook bei der Bekämpfung von ärztlicher COVID-19-Desinformation. Institute for Strategic Dialogue, 21. Dezember 2021
Davey, Jacob. Gamers Who Hate: An Introduction to ISD’s Gaming and Extremism Series. Institute for Strategic Dialogue, 12. August 2021
(5) International Crisis Group, Mali: Enabling Dialogue with the Jihadist Coalition JNIM, 10. Dezember 2021
(6)
Gegeshidze, Archil und Thomas de Waal. Divided Georgia: A Hostage to Polarization. Carnegie Europe, 8. Dezember 2021
Roose, Jochen. Politische Polarisierung in Deutschland. Konrad-Adenauer-Stiftung, 22. November 2021
(7) Tayler, Letta und Elisa Epstein. Legacy of the “Dark Side”: The Costs of Unlawful U.S. Detentions and Interrogations Post-9/11. Watson Institute for International & Public Affairs, 9. Januar 2022
(8) Fundação Getulio Vargas. Digitale Demokratie. Digitalisierung und Öffentlichkeit in Brasilien