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Autokratien im Aufwind

Nur noch jeder fünfte Mensch lebte im vergangenen Jahr in einem freien Land, berichtet eine aktuelle Studie der US-amerikanischen Organisation Freedom House. Noch vor zwei Jahren war der Anteil fast doppelt so hoch. Damit setzt sich der bereits seit 16 Jahren anhaltende Rückgang der Freiheit auf der ganzen Welt fort. Auch die Bertelsmann-Stiftung stellt in ihrem jüngsten Transformationsindex eine zunehmende Autokratisierung der Welt fest. Zum ersten Mal seit 2004 sind mehr Autokratien als Demokratien unter den dort untersuchten Staaten. Doch trotz dieser düsteren Entwicklung zeigt die Zivilgesellschaft in vielen Ländern, dass Demokratie und Freiheit weiterhin große Anziehungskraft besitzen.

Infografik Freedom House: Infografik zum Anteil der Weltbevölkerung in freien, teilweise freien und unfreien Staaten von 2005 bis 2021

Der Washingtoner Think Tank Freedom House zieht ein besorgniserregendes Fazit: Die Angriffe auf die liberale Demokratie nehmen zu. Autoritäre Regierungen werden immer besser darin, Normen und Institutionen, die Grundrechte sichern sollen, zu unterwandern. Das gilt auch für autoritäre Kräfte in liberalen Demokratien.

Infografik BTI: Infografik zur Entwicklung der BTI-Punktzahl von sechs Demokratien von 2012 bis 2022

Der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung (BTI) analysiert und vergleicht weltweit die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung in Entwicklungs- und Transformationsländern. Die aktuelle Ausgabe des zweijährlich erscheinenden BTI untersucht 137 Länder. Erstmals seit 2004 finden sich darunter mit 70 Ländern mehr autokratische als demokratische Staaten. Schon länger lässt sich eine allmähliche Verschlechterung der Demokratie in vielen Ländern beobachten. Fast jede fünfte Demokratie hat laut der Bertelsmann-Stiftung in den vergangenen zehn Jahren an Qualität eingebüßt, darunter auch regional bedeutsame und einst stabile Demokratien. Dazu gehören die bevölkerungsreichen Länder Indien und Brasilien und die europäischen Staaten Bulgarien, Polen, Serbien und Ungarn, die seit 2012 mehr als einen Punkt auf der Zehn-Punkte-Skala des BTI verloren haben und nur noch als defekte Demokratien gelten. Ursache für diese Entwicklung sei zumeist eine einseitige Konzentration der politischen Eliten auf politische und wirtschaftliche Machtsicherung, der jegliche gesellschaftliche Entwicklung untergeordnet wird.

Infografik BTI: Infografik zur Entwicklung der BTI-Punktzahl von sechs Demokratien von 2012 bis 2022
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Wehrhafte Demokratie

Seit dem 24. Februar 2022 hat der Begriff der „wehrhaften Demokratie“ einen anderen Klang. Ursprünglich im Kontext einer Verteidigung der demokratischen Ordnung gegen Feinde von innen verwendet, stehen jetzt auch die militärischen Gefahren von außen im Fokus, die in einigen Regionen der Welt in den Hintergrund gerückt waren. Ein Essayband der Konrad-Adenauer-Stiftung untersucht das Spektrum der inneren und äußeren Gefahren für die deutsche Demokratie – von Extremismus und Polarisierung über Autoritarismus und Nationalismus bis zu militärischer Bedrohung und Cyberangriffen.

Eine Person wehrt mit einem Schild mit Europaflagge Pfeile ab
Eine Person wehrt mit einem Schild mit Europaflagge Pfeile ab
Fliegender Pfeil
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Fakten und demokratische Öffentlichkeit

Infografik zur Entwicklung der Überschätzung des Anteils Eingewanderter an der Gesamtbevölkerung in verschiedenen Ländern.

Die Coronapandemie hat in vielen Länder ein erschreckendes Ausmaß an Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Autoritäten ans Licht gebracht, ungeachtet weithin verfügbarer Informationen zum Virus und den Impfungen. Dieser Trend zu einer polarisierten und fragmentierten Öffentlichkeit, die im politischen Diskurs immer weniger von gemeinsam anerkannten Fakten ausgeht, lässt sich weltweit schon länger beobachten. Ein markantes Beispiel sind die USA, wo inzwischen selbst die Integrität der Präsidentschaftswahl von Teilen der Gesellschaft angezweifelt wird. Unter dem Schlagwort „Wahrheitsverfall“ haben Forscherinnen und Forscher der RAND Corporation Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen dieser Entwicklung zunächst für die Vereinigten Staaten und nun in einer neuen Studie für Europa untersucht.

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Königreich der Kleptokraten?

Person mit Flecken auf der Kleidung, die von einem Bündel Pfund-Scheine weggewischt werden

Die westlichen Sanktionen gegen russische Oligarchen seit Russlands Überfalls auf die Ukraine haben ein Schlaglicht auf den Einfluss russischer Eliten im Vereinigten Königreich geworfen. Schon lange mahnen Experten, dass insbesondere London seit den 1990er Jahren als sicherer Hafen für das korrupte Geld reicher Eliten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion dient. So schätzt die Antikorruptionsorganisation Transparency International, dass 1,5 Milliarden Pfund russisches Schwarzgeld in britischen Immobilien steckt. Die Verbindungen zwischen russischem Geld und der britischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft beschädigen dabei nicht nur den internationalen Ruf des Landes, sondern drohen auch die Integrität britischer Institutionen zu unterminieren. Ein Bericht von Chatham House detailliert das Kleptokratie-Problem des Vereinigten Königreichs und entwirft Strategien für die britische Politik.

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Wahlen im digitalen Zeitalter

Ein Mensch mit einem Schild mit der Aufschrift Yes steht einer Gruppe von Computern gegenüber, auf deren Bildschirmen No steht

Weltweit stellt die Digitalisierung demokratische Staaten vor neue Herausforderungen für die Integrität ihrer Wahlen und der politischen Meinungsbildung ihrer Gesellschaften. Zwar ermöglicht sie effizientere digitale Wahlsysteme und eröffnet vielfältige Möglichkeiten der politischen Bildung und Kommunikation im Internet, doch Cyberattacken, Trollfabriken und Social Bots schaden demokratischen Prozesse. Ausländische Desinformationskampagnen und russische Hackerangriffe sind längst zu einer ernstzunehmenden Gefahr für demokratische Wahlen geworden. Eine Studie des Centre for International Governance Innovation (CIGI) versammelt ein interdisziplinäres Expertenteam, das die unterschiedlichen Facetten des Themas beleuchtet und Empfehlungen für die Politik formuliert.

Ein Mensch mit einem Schild mit der Aufschrift Yes steht einer Gruppe von Computern gegenüber, auf deren Bildschirmen No steht
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Zerreißprobe für die Demokratie

Zwei Menschengruppen stehen sich an einem Abgrund gegenüber, dessen Ränder die Kontur des südamerikanischen Kontinents haben.

Zum ersten Mal in der Geschichte Kolumbiens gewann im Juni 2022 mit Gustavo Petro ein Linker die Wahl zum Präsidenten des Landes. Damit setzt sich ein Trend in Lateinamerika fort, wo sich 2021 bereits in Chile, Peru und Honduras linke Politiker durchsetzen konnten. Mindestens ebenso bemerkenswert ist jedoch, dass auch Petros populistischer Rivale keiner der etablierten Parteien angehörte. Auch in Kolumbien lässt sich somit die zunehmende Zurückweisung der traditionellen Politik und ein Aufstieg populistischer Politiker feststellen, die auch die Politik anderer lateinamerikanischer Länder prägt. Eine Sammlung von Beiträgen des Carnegie Endowment for International Peace wirft einen Blick auf die politischen Entwicklungen in sechs Ländern der Region, die von gesellschaftlichen Spannungen und Polarisierung gekennzeichnet sind.

An dieser Ausgabe mitgearbeitet haben:

Team KALUZA + SCHMID Studio, Bogdan Miftakhov, Johannes Sudau, Kristin Wesemann

Quellenangaben

(1) Freedom in the World 2022. The Global Expansion of Authoritarian Rule. Freedom House, Februar 2022.
Transformation Index BTI 2022. Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2022.

(2) Die wehrhafter(re) Demokratie. Russland und zehn weitere Gefahren für unsere Demokratie. Konrad-Adenauer-Stiftung, July 2022.

(3) Devaux, Axelle, Sarah Grand-Clement und Stijn Hoorens. Truth Decay in Europe. Exploring the role of facts and analysis in European public life. RAND Corporation, 2022.

(4) Heathershaw, John, Alexander Cooley, Tom Mayne et al. The UK’s kleptocracy problem. How servicing post-Soviet elites weakens the rule of law. Chatham House, Dezember 2021.

(5) The Global State of Democracy In Focus. Taking Stock After Two Years of Covid. International Institute for Democracy and Electoral Assistance, April 2022.

(6) Bradshaw, Samatha Kailee Hilt, Eric Jardine et al. Next-Generation Technology and Electoral Democracy: Understanding the Changing Environment. Centre for International Governance Innovation, März 2022.

(7) Carothers, Thomas und Andreas E. Feldman (Hg.). Divisive Politics and Democratic Dangers in Latin America. Carnegie Endowment for International Peace, 2021.